Samstag, 14. Mai 2011

Blick am Abend: Bühne frei für Totschläger

Die Redaktion (bzw. die Verfasserin des Artikels Andrea Schmits) vom "Blick am Abend" zeigt im erwähnten Artikel ihr Verständnis des schweizerischen Rechtsystemes sehr klar auf.

"Bühne Frei für Totschläger" steht auf der Titelseite vom "Blick am Abend" vom 11.5.2011 mit Verweis auf einen Artikel auf Seite 4/5.
Auf Seite 4 lautet dann die Überschrift:"Totschläger in Genf willkommen".
Der Titel in der Online Ausgabe des Artikels lautet:"Bertrand Catat: Frauenkiller darf in Genf Theater spielen".
"GENF - Nach seiner Haftentlassung darf der Ex-Rockstar in einem Genfer Theater mitspielen. Andere Länder hatten seinen Auftritt zuvor abgelehnt. Cantat hatte vor acht Jahren seine Freundin erschlagen."

So der reisserische Text. Ähnlich geht es weiter. Erstaunlich ist, dass im ganzen Text nie explizit erwähnt wird, dass die Verfasserin es völlig daneben findet, dass jemand, der eine Straftat begangen hat (in diesem Fall eine schwere Straftat) nach dem Verbüssen seiner Strafe wieder einen Job kriegt!
Nur aus dem defensiven Ton der Reaktionen der Beteiligten kann man recht klar auf die Richtung der Fragestellung schliessen:
"Theaterdirektor Hervé Loichemol betont heute im «Le Matin», er habe nichts davon gewusst, als er das Stück im vergangenen Juli ausgewählt habe. Danach hätten ihn die Co-Produzenten vor die Wahl gestellt: «Kein Cantat, kein Theater.»"
Der Theaterdirektor schiebt also die Schuld auf andere. Schade!
Denn: Welche "Schuld" denn eigentlich? In unserem Rechtssystem gilt das Prinzip von Schuld und Sühne. Der Staat übernimmt in diesem Fall das Ausführen der Strafe als Sühnehandlung. Nach dem Verbüssen der verhängten Strafe gilt die Tat als gesühnt und der Bestrafte kann sein Leben ordentlich weiterführen... wenn man ihn denn lässt!

Es ist definitiv nicht Aufgabe der Bevölkerung und der Medien, den Bestraften noch weiter zu bestrafen. Der Bestrafte hat bereits ein Urteil erhalten und hat mit der Strafe die Konsequenzen für seine Verfehlungen bereits voll und ganz getragen !

Insbesondere wenn die Tat nichts mit der ausgeübten Tätigkeit zu tun hat und die Art der Tat die Eignung des Täters für die Ausübung dieser Tätigkeit nicht in Frage stellt (anders liegt der Fall bei Tätern, deren Taten einen Zusammenhang mit ihrem Beruf haben; z.B. Buchhalter die Geld unterschlagen haben oder Lehrer die Gewalt gegenüber Schülern anwendeten).

Dann folgt doch noch eine Besinnung beim Theaterdirektor wenn er sich weiter äussert:
"«Ich kann den Unmut der Trintignants (Familie des Opfers, anm. d. Verfassers) nachvollziehen», sagt Loichemol. «Doch ich habe Bertrand Cantat nicht eingeladen. Es steht mir nicht zu, ihm den Prozess zu machen. Das Theater ist ein gastfreundlicher Ort – nicht der Zensur.»" (Die Hervorhebung entspricht der Darstellung in der Papierausgabe, in der Online-Ausgabe ist dieser Satz nicht hervorgehoben, Anm. d. Verfassers)
Dass sich die Familie des Opfers verärgert gezeigt hat, ist aus dem Artikel bisher nicht hervorgegangen. Eine Information die durchaus von Interesse ist. Es ist davon aus zu gehen, dass dieser Unmut überhaupt erst dazu geführt hat, dass der Artikel verfasst wurde.

Wichtiger scheint mit aber die hervorgehobene Aussage:"Es steht mir nicht zu, ihm den Prozess zu machen". Dem könnte man anfügen:"Und auch anderen stünde es gut an, sich Gedanken dazu machen!"

Das Theater ist ein Ort der Unterhaltung und der Kultur. Wir der Wert der Kultur und der Unterhaltung denn durch die Person des Komponisten beeinträchtigt? Ist ein Theaterstück plötzlich nicht mehr wert, gezeigt zu werden, weil man nicht hinter der Vergangenheit des Komponisten stehen kann? Oder muss man sich schämen, weil man die Musik eines Komponisten gut findet, der keine weisse Weste hat und dafür bestraft worden ist?

Solche Fragen lassen sich kaum mit 3-6 Worten, die in eine reisserische Überschrift passen, beantworten. Rechtlich gesehen ist die Sache klar: Das Ausführen der Strafe ist Aufgabe des Staates. Eine zusätzliche Bestrafung durch Dritte ist eine Verletzung der Rechtsgleichheit und eine Überschreitung von Kompetenzen, die in unserem Rechstsystem einzig und allein dem Staat zustehen.

In der Realität ist es natürlich praktisch immer so, dass einer Bestrafung durch den Staat fast immer auch negative Konsequenzen im Zivilleben folgen. Es ist jedoch sicher nicht Aufgabe der Medien, dies auch noch zu fördern!

Schade. Aber mit einem ausgewogenen und sachlichen Stil wäre wohl kaum ein Artikel draus geworden.

1 Kommentar:

  1. „Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom.“ (Einstein)


    "Viele Leute glauben, dass sie denken, wenn sie lediglich ihre Vorurteile neu ordnen.“ (William James)

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