Samstag, 30. Oktober 2010

Tagesanzeiger: Taub im Laub

Wer kennt sie nicht, die Laubbläser. Sie gehören inzwischen einfach zur herbstlichen Geräuschkulisse.

Philippe Zweifel vom Tagesanzeiger hat sich hingesetzt und einen Artikel geschrieben.
Was er geschafft hat, ist eigentlich genial. Denn indem er sich eine ausgewogene Recherche erspart hat, und z.B. wirklich mal mit den Leuten, die professionell mit den Geräten arbeiten, gesprochen oder noch besser, diese mal einen halben Tag bei ihrer Arbeit begleitet hätte, hat er einen vor Polemik triefenden Artikel verfasst. Das hat ihm viele Leserkommentare eingebracht. Viel Aufmerksamkeit bedeutet wohl dann viel Lob vom Chef.



Zur Belohnung durfte er dann nämlich noch einen zweiten Artikel nachschieben, den er hauptsächlich aus den Leserkommentaren zusammensetzen konnte und der auch wieder viele Kommentare zur Folge hatte.

Schon der Untertitel des ersten Artikels zeigt, in welche Richtung der Hase läuft:
"Die Idiotie von Laubbläsern wird nur noch von jener ihrer Anwender übertroffen."
Aha, es wird wohl langsam Mode, einfach mal ganze Gruppen von Leuten zu beleidigen. Diesmal sogar Leute, die einfach nur ihren Job zum Wohle der Allgemeinheit machen.

"Nun gehen sie wieder ihrer sinnlosen Arbeit nach, die Vasallen der städtischen Strassenreinigung."
Hm. Ein Vasall ist ein Herr, der sich freiwillig (meist zu militärischen Zwecken) in den Dienst eines anderen Herren stellt (Wikipedia Link)
Was Herr Zweifel damit aussagen will, bleibt wohl sein Geheimnis. Aus dem Kontext des Artikels zu schliessen dürfte seine Meinung auf alle Fälle nicht sonderlich schmeichelhaft sein.

Und dann fährt Herr Zweifel die grosse argumentative Kanone auf:
"Auch auf die Luft und damit unsere Lungen haben sie es abgesehen. Ausserdem pusten sie Krankheitserreger durch die Gegend."
"Die Bösen, die wollen unseren Tod! Wie schrecklich!" Naja, Herr Zweifel, bleiben wir mal auf dem Boden der Tatsachen. Jeder Herbstwind wirbelt mehr Laub und Staub auf als alle Laubbläser der Welt zusammen. Aber um Fakten geht es wohl hier kaum.
"Und dass das Laub unter Büschen Insekten und Kleintieren Unterschlupf bietet und die Verrottung der Blätter den Boden nährt, kümmert sie nicht."
Dass das Laub meist genau an diese Orte geblasen wird hätte ein Augenschein an der frischen Luft gezeigt... Ich will mal nicht unterstellen, dass Herr Zweifel stattdessen halt lieber seinen Bürostuhl wärmt.

Dann wird Herr Zweifel noch richtig prosaisch... oder wollte er einfach lustig sein?
"Den Dreck von einer Ecke in die andere blasend, erinnern die Saubermacher an unfähige Beamte, die Traktanden planlos vertagen – oder noch schlimmer: Probleme erfinden, wo keine sind. Wobei die Beamten-Metapher nicht nötig wäre; die städtischen Laubbläser befolgen ja tatsächlich Befehle irgendeiner Verwaltung. Nicht einmal vor den Fried(!)höfen machen die Putzer mit ihren Geräten auf dem Rücken halt. Dass sie dabei wie Ghostbusters aussehen, ist das einzig Stimmige an ihrem Tun."

Dann ein bisschen Gesellschaftskritik:
"Wenn man Blätter schon als natürliche Feinde des Asphalts betrachtet - wie wäre es mit dem guten alten Besen oder dem Rechen? Allein, wo früher ein Mensch war, ist heute eine Maschine respektive ein Maschinenmann."
Und die Unterstellung einer Verschwörung:
"Offiziell wird freilich mit Personalkosten und Zeitaufwand argumentiert."
Sowas zieht immer:"Die "Offiziellen" belügen uns!" Es bringt die Leser emotional näher, wenn man einen gemeinsamen Feind schafft.
"Laubblasen – eine moderne Sisyphus-Arbeit? Was für ein Witz. Trotzdem ein Vorschlag: Warum nicht Arbeitslose einsetzen? Analog den Parkplatzkontrolleuren?"
Oder Journalisten... ja, bitte, nehmt Journalisten für sowas!
"Wenigstens gelingt es der Stadt den hiesigen Reinigungswahn als Gefahreneindämmung (Rutschige Trottoirs! Verklebte Geleise!) zu tarnen."
Und nochmal eine Prise Verschwörungstheorie um das Ganze abzurunden.

Und weil es so schön war, durfte Herr Zweifel einen Tag später gleich nochmals in die Tasten hauen:
«Wen Laubbläser stören, soll uns mal mit Besen und Rechen helfen!» Der Titel verspricht einen interessanten Artikel.
"...Die Anwender von Laubbläsern. Naturgemäss zeigen sie wenig Verständnis für den Artikel und die vielen Anti-Laubbläser-Kommentare."
Naja. Wohl eher auch Verständnis für das Machwerk des Autoren. Mit diesem hat er ja die ganze Diskussion erst richtig angeheizt.
"«Wir Werkhofmitarbeiter machen es nie allen recht. Irgendjemand findet immer etwas zu meckern. Wer sich durch Laubbläser belästigt fühlt, sollte uns einen Herbst lang, mit Rechen und Besen ausgerüstet, helfen. Tausende von qm warten auf euch – viel Spass dabei»"
Das trifft den Kern der Sache wohl ganz gut. Genau dies würde ich gerne Herrn Zweifel empfehlen. So etwas nennt sich auch "Recherche" und hat irgendwo im Berufsbild des Journalisten eigentlich auch ein Plätzchen verdient. Aber dann hätte er nicht die Zeit für sage und schreibe 2 Artikel in 2 Tagen zu einem einzigen Thema gefunden.
"«Sehr sparsam wird bei uns das Gerät eingesetzt, und es darf nur zwischen Oktober und Januar gebraucht werden. Intelligenterweise wird das Laub unter Hecken und Bäume zusammengeblasen.»"
Interessant. Hatte Herr Zweifel nicht im ersten Artikel nicht behauptet, dass dies nicht passiere? Naja, irren ist menschlich. Man kann ja nicht über jedes Thema, zu dem man etwas schreibt, auch alles wissen.
Aber natürlich nimmt sich Herr Zweifel das Recht heraus, als Journalist das letzte Wort zu behalten. Und dazu packt er gleich die grösste Waffe aus. Die kleinen Kinder müssen mal wieder als Waffe herhalten:
"Das ändert wohl nichts daran, dass der Laubbläser das Herbstfeindbild schlechthin ist, sogar schon bei den Kindern, wie der Kommentator Ivan Nikolic schreibt: «Immer wenn mein 3-jähriger Sohn weinend zu mir rennt und ruft: ‹Dä Maa chunnt!›, weiss ich, dass der Hauswart mit dem Laubbläser in der Nähe ist...»"
Willkommen im Internetzeitalter. Da können die Leute ihre Kommentare anfügen und der Journalist hat nicht immer automatisch das letzte Wort.

Fazit: Die beiden Artikel sind nicht die Energie wert, die der Computer des Autors während des Schreibens verbraucht hat.

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